Ganze 50 Jahre ist das Abitur des Jahrgangs 1973 her, zu dessen Anlass sich ehemalige Abiturientinnen in ihrer alten Schule, das Ricarda-Huch-Gymnasium, wiedertrafen, um sich zu erinnern!

Vom heutigen Schulleiter des Ricarda, Herrn Dr. Frey, durch die Schule geführt, stiegen bunte Erinnerungen an seltsame, aber auch lustige Begebenheiten von damals auf, die sich allesamt im alten Schultrakt abspielten. Und während der alte Teil der Schule nostalgisch und in Erinnerungen schwelgend begangen wurde, bewunderte man den neueren mit den naturwissenschaftlichen Räumen.

Aus einem übersichtlichen reinen Mädchengymnasium in den frühen Siebzigern ist das Ricarda inzwischen zu einer koedukativen (geschlechtsgemischten) Schule der Vielfalt geworden. Und da sich Schüler:innen von heute kaum mehr vorstellen können, wie es ist, eine monoedukative Schule zu besuchen, haben sich zwei Schüler, Gonald und Magdy aus der 9A, einige Fragen zu dieser besonderen Art des schulischen Zusammenlebens und -wirkens allein unter Mädchen überlegt.

Neun Fragen heutiger Schüler an die Schülerinnen von damals:

Frau Verena Körber und ihren ehemaligen Mitschülerinnen danken wir für das schöne Foto von damals und die erhellenden Antworten von heute zum Thema.

P.S. Es heißt, eine ganze Reihe der damaligen Abiturientinnen habe nach dem Abitur den Beruf der Lehrerin ergriffen, so schlecht kann die Schule von damals also nicht gewesen sein – nur Mädchen hin oder her ;))

1: Wie fühlten Sie sich während der Führung durch Ihre ehemalige Schule?

Die während der Führung ausgetauschten Erzählungen haben viele alte Erinnerungen aufgefrischt. Uns waren noch einige Räumlichkeiten vertraut (die Klassenräume, die Turnhalle). Dagegen sahen wir den neuen, hellen naturwissenschaftlichen Trakt als große Bereicherung für die Schule an. Etwas Wehmut kam in der modernen Aula auf. Die schönen alten Fenster hätten dem Umbau nicht zum Opfer fallen dürfen.

2: Hat sich das Bildungssystem seit Ihrem Abitur eher positiv oder eher negativ verändert – was denken Sie?

Das Bildungssystem hat sich sicherlich positiv verändert. Heute herrscht in den Schulen ein entspannter, lockerer, demokratischer Erziehungsstil. Meine eigenen Kinder hatten in den 90er Jahren ein respektvolles, fast freundschaftliches Verhältnis zu vielen Lehrern. Sie identifizierten sich mit ihrer Schule und gingen gerne dorthin. Das Lernklima hat sich sehr verbessert und viele Kreativität fördernde Beschäftigungen (Theater-AG, Musik) fanden statt. Es hat gut getan, diese Entwicklung zu beobachten.

3: Gab es besondere Traditionen oder Aktivitäten auf der Mädchenschule, an die Sie sich (besonders positiv oder negativ) erinnern?

Besonders an eine frühere Tradition im Ricarda haben wir uns während der Führung durch die Schule belustigt erinnert. In den Regenpausen mussten wir uns zunächst in Reihen zu zweit im Klassenraum aufstellen. Dann trat die Klasse auf den Flur und wanderte nach rechts an der rechten Seite des Flures entlang. An den beiden Enden des Flures standen Papierkörbe, die wir umrunden mussten. Dann ging es auf der gegenüberliegenden Flurseite in der langen Schlange zum zweiten Papierkorb. So wanderten die Schülerinnen des gesamten Stockwerks 20 Minuten im Kreis. Begegneten wir dabei der Direktorin, wurde ein "Knicks" von uns erwartet.

4: Wie war die Schülerin-Lehrerin-Beziehung zu Ihrer Schulzeit?

Zu unserer Schulzeit herrschte ein recht autoritärer Erziehungsstil. Die meisten Lehrer verstanden sich als reine Wissensvermittler. Sie gaben wenig bis gar nichts Persönliches preis. Die Erwartungen an uns waren Disziplin und Ordnung. Abweichungen davon wurden ohne Erklärung sanktioniert. Dieser Stil entsprach aber dem Zeitgeist, wir kannten es nicht anders. Ich glaube, dass ein Grund für dieses Verhalten war, dass in der Jugendzeit unserer Erziehergeneration Krieg und eine Diktatur herrschten. Die schönen, positiven Jugenderfahrungen haben für unsere Eltern und Lehrer nicht stattgefunden, sie konnten so das "Gute" nicht weitergeben.

5: Gab es besondere Herausforderungen, die Sie während Ihrer Schulzeit bewältigen mussten, weil Sie auf einer Mädchenschule waren?

Viele der Mitschülerinnen wohnten verstreut in den Stadtteilen von Gelsenkirchen und waren Fahrschülerinnen. Dadurch waren sie erst am frühen Nachmittag zu Hause. Einmal pro Woche fuhr man sogar kurz nach dem Mittagessen ein weiteres Mal zum Sportnachmittag zum Ricarda, nachmittags hatten wir reichlich Hausaufgaben zu bewältigen. So hatten Mitschülerinnen, die keinen Bruder hatten (der dann schon mal Freunde mit ins Haus brachte), jahrelang wenig Kontakt zu Jungen. Das war schon ein seltsames Gefühl. Es fehlte etwas vom "normalen" Leben.

6: Haben Erfahrungen, die Sie konkret auf einer Mädchenschule gewonnen haben, Ihre späteren Entscheidungen beeinflusst, zum Beispiel in Bezug auf Karriere oder Ihr persönliches Leben?

Nach den Erfahrungen unserer Jugendzeit, die so gar nicht von Mitsprache geprägt waren, stand fest, dass die Generation unserer Kinder freier aufwachsen sollte und auf die Bedürfnisse der Kinder viel mehr eingegangen werden muss. Besonders wichtig erschien mir die Stärkung der Mädchen, so dass sie z.B. auch in den naturwissenschaftlichen Fächern selbstbewusst auftreten und gut auf einer koedukativen Schule mithalten können.

7: Sind Sie der Meinung, dass getrenntgeschlechtliche Schulen auch heute noch Vorteile für die jeweiligen Schüler:innen bieten können?

Ich bin der Meinung, dass getrenntgeschlechtliche Schulen für introvertierte, stille Schüler:innen durch eine evtl. ruhigere Atmosphäre Vorteile bieten könnten. Der Großteil der heutigen Schüler:innen sollte aber die Vorteile der Koedukation nutzen.

8: Welche Ratschläge würden Sie heutigen Schüler:innen geben, die auf einer koedukativen Schule lernen?

Den heutigen Schüler:innen würde ich wünschen, die entspanntere und lockere Atmosphäre der Koedukation zu genießen. Ich würde sie aber auch bitten, unterschiedliche Begabungen und unterschiedliches Lerntempo der anderen Mitschüler (gleich welchen Geschlechts) ohne Wertung zu tolerieren.

9: Wenn Sie zu Ihrer Schulzeit die Chance gehabt hätte, eine koedukative Schule zu besuchen, hätten Sie sich dafür entschieden? 

Ich hätte mich zu meiner Schulzeit für die Koedukation entschieden. Ich denke zur Persönlichkeitsentwicklung und Vorbereitung auf das Leben, auch auf das spätere Berufsleben, gehören nun mal alle Geschlechter. Die Trennung halte ich für weltfremd und Vorurteile fördernd.